Über den sportlichen Wert von Emir Spahic bei Bayer Leverkusen muss nicht diskutiert werden. Darüber, dass die Aktion nach dem Pokalspiel, als Spahic sich ins Handgemenge eingemischt, kräftig mitgemischt und einem Ordner eine Kopfnuss verpasst hat, völlig inakzeptabel ist, muss man ebenfalls nicht diskutieren. Ein absolutes No-Go, Spahic hat eine Grenze überschritten und muss dafür bestraft werden. Strafrechtlich gibt es dafür Organe, die nun ihre Arbeit tun werden. Dass es auch Konsequenzen von seinem Arbeitgeber geben wird, ist nur logisch und folgerichtig.
Was aber sind nun die richtigen Konsequenzen? Darüber kann sehr wohl diskutiert werden und wird es bereits sehr kontrovers. Auch die Bayer04-Fans sind sich hier nicht einig, auch wir maßen uns nicht an, die eine unfehlbare Meinung zu haben, wir sind uns auch selbst im Orgakreis der NK12 hier nicht in allen Punkten völlig einig.
Einerseits ist klar, dass ein Verein Gewalt nicht dulden kann, weder von Fans noch von seinen Angestellten, in diesem Fall sogar einer Hauptperson, einem Spieler. Insofern wäre es nur konsequent, wenn man einen eigenen Angestellten genauso behandelt wie die Fans des eigenen Vereins. Ausschluss und Stadionverbot. Andererseits fordern insbesondere wir Fans immer wieder, dass man den Einzelfall betrachtet und angemessen reagiert. Das hat natürlich auch Spielern gegenüber zu gelten.
Viele Medienvertreter sind mit einer schnellen Be- und Verurteilung bei der Hand gewesen und üben medialen Druck aus. Hinterfragen fand praktisch nicht statt. Auch für viele Fans gibt es nur schwarz oder weiß. “Untragbar” ist ein oft gelesenes Wort. Aber ist es wirklich schwarz oder weiß? Gibt es kein grau?
Es gibt Videos über die Szene, die eine eindeutige Sprache sprechen – aber eines auslassen:wie ist es zu dieser Szene gekommen? Wer hat welchen Anteil? Was sagt Spahic selbst zu der Aktion, wie steht er dazu? War er Auslöser oder kam er später dazu? Welchen Anteil haben die Ordner an dieser Aktion? Egal wie die Antworten ausfallen: seine Reaktion ist nicht zu entschuldigen. In der Bewertung des Strafmaßes aber sollte das alles sehr wohl eine Rolle spielen. Ist eine fristlose Kündigung gerechtfertigt? Ist es der erste Vorfall dieser Art? Dann sicherlich nicht. Dann wäre wohl eher eine Abmahnung mit hoher Geldstrafe und einer sozialen Aufgabe zur Wiedergutmachung angemessen. Gab es mehrere Vorfälle auch schon in der Vergangenheit und es gab auch schon eine Abmahnung? Auch dann ist die Frage aus unserer Sicht nicht einfach zu beantworten. Es gibt Argumente die dafür, aber auch welche, die dagegen sprechen.
Schauen wir einmal über den Tellerrand: Ist nun ein spontaner Faustschlag und ein Kopfstoß anders bzw. als schlimmer zu bewerten, als jene teilweise von langer Hand geplante oder über einen längeren Zeitraum durchgeführten Straftaten, wie wir sie zu Genüge von Spielern und Angestellten anderer Vereine erlebt haben? Das muss jeder für sich selbst ausmachen. Andernorts werfen Spieler Döner, pinkeln im Hotellobbies, gefährden ohne Führerschein jahrelang andere Autofahrer mit zu schnellem Fahren, verkehren Stars mit minderjährigen Prostituierten, prügeln sich Spieler beim Training, zünden ein Haus an und hinterziehen in kleinem und großem Maß Steuern. Wie gehen die jeweiligen Vereine mit diesen Menschen um? Sie stärken ihnen den Rücken, die Fans feiern sie regelmäßig.
Werden diese Fans dafür kritisiert wie der Boulevard es heute bereits mit jenen tut, die das “Emir – einer von uns”-Plakat im Block im Mainz hochgehalten haben? Jener Boulevard übrigens, der Anstand und Moral noch vor wenigen Wochen beim Germanwings-Absturz mit Füßen getreten hat und es bis heute tut, sich hier aber zur moralischen Instanz erhebt? Nein, das werden sie nicht. Auch die Protagonisten werden medial eher geschützt und benützt und gefeiert als objektiv beurteilt. Von Medien, Fans und auch Arbeitgebern.
Nur bei uns in Leverkusen scheinen die Uhren anders zu ticken, wenn man Journalisten auch seriöserer Blätter glauben darf. Image scheint wieder einmal wichtiger zu sein als alles andere, die Entlassung stehe kurz bevor. Bedauerlich, enttäuschen nach allem, was man weiß. Und das sind über die Zeit von Spahic in Leverkusen nicht viele Dinge. Eine Gratwanderung auf dem Platz, hart, oft gelbgefährdet und manchmal auch mehr. Immer Vollgas, immer alles gebend für das Team, ein kämpferisches Vorbild, ein Spieler mit den so berühmten “Eiern”, ein Typ. Ein Spieler, der uns geholfen hat und noch tut. Neben dem Platz aus Fansicht zurückhaltend, freundlich, aber nicht durch Eskapaden aufgefallen. Gab es mehr? Dann sollte man, um Verständnis zu erzeugen, auch Transparenz schaffen. Das aber könnte wieder neue negative Schlagzeilen schaffen.
Geht es am Ende nur darum Kratzer auf dem Image der AG möglichst elegant zu vermeiden? Oder geht es auch um den Menschen Emir Spahic? Dass er zu bestrafen ist, steht außer Frage. Wir sind aber eher dafür, dass man ihn neben der Strafe auch unterstützt, ihm hilft, anstatt ihn fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel. Als Arbeitgeber muss man reagieren, wenn ein Angestellter sich daneben benimmt, man hat aber auch eine Fürsorgepflicht. Wäre ein jeder von uns betroffen, würde er sich wahrscheinlich zuerst über sich selber ärgern und dann hoffen, dass er noch eine Chance bekommt. Leverkusen ist nicht schwarz oder weiß, Leverkusen ist die Farbenstadt. Nach allem, was man weiß: hoffentlich auch zukünftig mit Emir Spahic.
Zufällig kommen brandaktuell auch noch die Gerüchte um eine Kabinenschlägerei nach dem gestrigen Spiel der Hamburger gegen Wolfsburg auf. Wir sind gespannt, wie der HSV mit dieser Situation umgeht und ob auch hier die Kündigung zweier oder mehrerer Spieler im Raum steht.
Den verletzen Ordnern wünschen wir an dieser Stelle gute Besserung, wünschen uns aber zeitgleich auch, dass man sich bei Bayer 04 einmal Gedanken über das derzeitige Security-Konzept im Haberland macht. Immer wieder hört man allerorts Beschwerden über die Besetzung des Ordnerdienstes, das Verhalten einzelner Mitarbeiter und die schlechte Schulung bzw. mangelnde Kompetenz. Dies hat vielleicht nur am Rande etwas mit den Geschehnissen rund um Emir Spahic zu tun, vielleicht aber auch einer der Auslöser, zumal es anhand der Videos ja so aussieht, als ob der erste Schlag tatsächlich von einem Ordner ausging. Auch hier hat sicherlich – wie rund um das ganze Thema – jeder seine eigene Meinung.
Wir wünschen uns demnach eine differenzierte Aufarbeitung der Dinge, keinen Schnellschuss und dass tatsächlich sachlich an den Fall herangegangen wird und dass die Belange von Bayer 04, seiner Mannschaft und Fans im Fokus stehen und nicht vordergründig das Image der Bayer AG. ”Bayer 04 – Die andere Familie” – Wir sind gespannt, ob der Verein dieses selbst auferlegte Motto auch lebt.
Quelle: http://www.nk12.de