Als Bayer Leverkusen 1997 zum ersten Mal in der Champions League spielte, hütete Dirk Heinen das Tor der Werkself. Heute hütet er Schafe in Irland – glaubt jedenfalls ein ehemaliger Trainer.
Dirk Heinen, kürzlich haben wir in einer Zeitung gelesen: »Dirk Heinen hütet jetzt Schafe statt Tore.« Klingt interessant.
Stimmt. (Lacht) Aber seien Sie beruhigt: Ich bin kein Schafhirte.
Wie müssen wir den Satz dann verstehen?
Ich hatte meine Karriere ja 2007 eigentlich beendet. Es war ein schönes
Ende, denn wir wurden mit dem VfB Stuttgart Meister. Ich wollte ein
bisschen Abstand vom Fußball gewinnen und zog mit meiner Frau nach
Irland. Anfang 2008 kam aber die Anfrage aus Bielefeld, wo sich Rowen
Fernandez verletzt hatte. Ich machte am 24. Spieltag noch ein Spiel in
der Bundesliga und hielt ganz ordentlich. Als die Journalisten unseren
Trainer Michael Frontzeck fragten, wo er mich wieder hergezaubert habe,
sagte er: »Von irgendeiner irischen Schafwiese.«
Ein Scherz.
Die Wahrheit ist, dass meine Frau und ich in einem kleinen Ort bei
Waterford an der irischen Südküste leben. Unser Nachbar hat tatsächlich
Schafe und Kühe, wir aber nicht. Wir haben nur einen Hund und drei
Katzen.
Vermissen Sie den Fußball?
Nein, wieso auch? Ich arbeite hier als Torwarttrainer für den irischen
Fußballverband und gucke jede Woche die Spiele in der Sportschau, denn
sogar neben den Schafwiesen gibt es Internet. (Lacht) Ich muss ja wissen, wie Bayer Leverkusen gespielt hat.
Sie sind 1981 als Zehnjähriger vom damaligen Jugendleiter Reiner Calmund zu
Bayer Leverkusen geholt worden. Wie wirkte der Klub damals auf Sie?
Ich war Fan, obwohl ich in Köln wohnte. Das war kein einfaches Los, denn
Bayer war damals wirklich noch eine graue Maus. Wenig Zuschauer, wenig
Erfolge. Dem Verein haftete das Image des Werkklubs an. Doch ich konnte
immer gut mit Sticheleien umgehen – egal ob mich damals ein FC-Fan als
»Pillen-Fan« auslachte oder später der gesamte gegnerische Block schrie,
dass er mit meiner Frau fremdgehen würde. (Lacht) Da muss man offensiv
mit umgehen, so wie es Bayer auch heute mit dem Titel »Werkself« tut.
Einen gewaltigen Schritt aus der Graumäusigkeit gelang Bayer 1988, als der
Klub gegen Espanyol Barcelona den Uefa-Pokal gewann. Wo waren Sie
damals?
Ich spielte in der A-Jugend und war bei
Bundesligaspielen der persönliche Balljunge von Rüdiger Vollborn. Das
war mächtig aufregend für mich, denn er war mein Held, ich habe ihn
angehimmelt. Beim Uefa-Cup-Finale durfte ich aber nicht Balljunge sein,
und so saß ich an jenem Abend auf der neu ausgebauten Tribüne des
Ulrich-Haberland-Stadions. Nach dem Elfmeterschießen (Bayer gewann 3:2 i.E., d. Red.) bin ich sofort über die Bande gesprungen und jedem Spieler um den Hals gefallen.
War es nicht seltsam, als Sie Ihren Helden Vollborn einige Jahre später aus dem Tor verdrängten?
Das war in der Saison 1995/96. Erich Ribbeck, der gerade als Trainer
zurückgekehrt war, bat uns in die Kabine und sagte: »Ihr seid beide
gleich gut, aber Dirk gehört die Zukunft, daher spielt er.« Rüdiger hat
es akzeptiert. Es wurde eine dramatische Saison, in der wir beinahe
abgestiegen wären. Wir standen vor dem letzten Spiel gegen
Kaiserslautern am Abgrund. Trotzdem verlief alles harmonisch zwischen
uns.
Sie hatten nie ein Kahn/Lehmann-Verhältnis?
Überhaupt nicht. Er hat mir damals sehr viel beigebracht, und wir haben stets
sehr offen miteinander geredet. Wir sind bis heute miteinander
befreundet.
In der Saison 1997/98 zog
Bayer Leverkusen zum ersten Mal in die Champions League ein. Zehn Jahre
nach der erfolgreichen Uefa-Pokal-Spielzeit. Nun standen Sie nicht mehr
hinter dem Tor, sondern im Tor. Ein Märchen?
Es klingt ein bisschen kitschig, aber es ist nun mal so: Als ich als kleiner Junge
hinter Rüdigers Tor stand, träumte ich immer davon, dass ich eines Tages
auch dort spielen würde, an einem Mittwochabend, Flutlicht, die Nummer
eins auf dem Rücken, mit all den Spielern und Mannschaften aus Spanien,
Frankreich oder England. Nun war es so weit – und wir schlugen uns recht
gut. In der Vorrunde gewannen wir alle Spiele, außer die beiden gegen
den AS Monaco.
Was wussten Sie über Monaco?
Wenig.
Aus heutiger Sicht schnalzt man beim damaligen Monaco-Kader ja mit der
Zunge: Thierry Henry, Fabien Barthez, Viktor Ikpeba, David Trezeguet.
Damals waren die aber noch recht unbekannt. Henry war erst 20, Trezeguet
19, und Barthez stand beim Mannschaftsfoto in der hinteren Reihe, so
dass er sich auf die Zehenspitzen stellen musste. Wir haben uns alle
schlappgelacht. Angsteinflößend wurde es erst im Spiel – wir verloren
0:4.
Henry machte seine klassischen Tore: von Außen ins lange Eck.
Wenn ich heute Kindern aus meinem Dorf erzähle, dass ich mal gegen den AS
Monaco gespielt habe, gucken sie mich mit großen Augen an. Doch wenn
dann der Name Thierry Henry fällt, sind sie ganz interessiert. Sie
fragen: Wie oft hat er getroffen? Und ich muss leider antworten: Drei
Mal in zwei Spielen. In typischer Henry-Manier. Der war wirklich
fantastisch.
Wie haben Sie den Stadtstaat Monaco wahrgenommen?
Wir haben mit der Mannschaft in Nizza gewohnt und sind am Abend eine Stunde
nach Monaco gefahren. Das war auf jeden Fall elektrisierend. Der Hafen,
die prunkvollen fürstlichen Gebäude. Im Stadion war nicht so viel los (7000 Zuschauer, d. Red.),
aber das war mir in dem Moment gar nicht so wichtig. Die ganze
Atmosphäre hat uns schon genug beeindruckt, wir sogen alles auf. Das war
auch bei den anderen Spielen in Lissabon oder Madrid so – für uns
fühlte sich die Champions League nie wie eine Doppelbelastung an,
sondern wie ein spannender Ausflug.
Dirk Heinen über Monaco, Schafe und Bayer»Ich bin kein Nostalgiker« Bayer schied damals erst im Viertelfinale gegen Real Madrid aus. Was machte die Mannschaft so stark?
Unser Teamspirit. Nach dem Beinahe-Abstieg kam Christoph Daum, der uns als
Mannschaft sehr gut geformt hat. Ihm war es stets wichtig, dass wir auch
außerhalb des Platzes Dinge unternehmen. Zwölf Spieler haben zum
Beispiel einen Tanzkurs gemacht. So lernten wir uns untereinander besser
kennen und konnten eine ziemlich gute Einheit bilden.
Sie haben mal gesagt, Geld sei das Gefängnis, das der Mensch sich gebaut hat. Was meinten Sie damit?
Man soll nicht dauernd dem Geld hinterherlaufen, denn so entsteht eine
Gier, die man schwer kontrollieren kann. Letztendlich endet alles in
einer großen Leere.
Schon Ende der neunziger Jahre
wurden hohe Summen für Spieler gezahlt. Heute sind sie astronomisch.
Interessieren Sie sich noch für Mannschaften wie den AS Monaco oder Real
Madrid?
In England ist es ja ähnlich. Letztendlich gibt der Markt es leider her. Ich finde, der Fan leidet darunter.
Weil er ebenfalls viel Geld bezahlen muss, um ein Spiel zu sehen?
Das auch, klar. Aber vor allem leidet die Identifikation. Ich bin kein
Nostalgiker, der früher alles besser fand. Aber ich komme aus einer
Generation, in der Mannschaften noch wachsen konnten. Auch Bayer hat mal
Spieler wie Herbert Waas für eine Millionen Mark verpflichtet, was
damals viel Geld war. Doch der Spieler blieb dann sieben Jahre. Andere
blieben zumindest drei, vier oder fünf. Dieses ständige Wechseln gab es
nicht. Auch deshalb habe ich 2007 nach der Meisterschaft mit dem VfB
gesagt: »Ich brauche Abstand« – und bin nach Irland.
Sie kehrten aber direkt wieder zurück.
Als das Angebot der Arminia kam, dachte ich: Gut, vielleicht schließt sich
nun ein Kreis. Dazu muss man wissen, dass ich in Bielefeld mal einen
Schädelbruch erlitt und danach meinen Stammplatz in Leverkusen an Adam
Matysek verlor. Und ich muss auch zugeben, dass ich den Fußball
vermisste. Nicht nur die Atmosphäre, die vollen Stadien, die Fans,
sondern vor allem das Gefühl, Teil einer Mannschaft zu sein. Dieses
Gefühl, gemeinsam etwas erreichen zu können. Deswegen habe ich Fußball
immer geliebt
Quelle: 11Freunde