"Entscheidend dafür, was Leverkusen heute ist"

  • Es gibt diese Momente, die über die Zukunft entscheiden. Augenblicke, Stunden oder Tage, auf die man zurückblickt und weiß, sie haben einen auf den Weg gebracht, den man nun so erfolgreich beschreitet.



    DFB-Pokalsieger, UEFA-Cup-Sieger, Sensationsfinalist in der Champions League, Platz 11 in der ewigen Bundesliga-Tabelle trotz des Prädikats "Spätzünder": all das hätte Bayer Leverkusen womöglich nicht erreicht, hätte der Verein die völlig enttäuschende Saison 1981/82 nicht mit zwei historischen Siegen beendet.


    Erste Relegation der Bundesliga-Historie


    "Diese Spiele waren entscheidend dafür, was Leverkusen heute ist", erklärt Gerhard Kentschke im Gespräch mit bundesliga.de. Die Rede ist von den beiden ersten Relegationsspielen der Bundesliga-Geschichte zwischen dem Tabellen-Sechzehnten der Bundesliga und dem Tabellen-Dritten der 2. Bundesliga.


    Bayer traf auf die Kickers Offenbach, siegte am 4. Juni 1982 mit 1:0 beim OFC und konnte fünf Tage später dank eines 2:1-Erfolgs vor eigener Kulisse den Klassenerhalt feiern. "Wären wir damals abgestiegen, weiß man nicht, wie sich alles entwickelt hätte. Durch den Verbleib in der Bundesliga hat sich der Verein Jahr für Jahr weiterentwickelt", weiß Kentschke, der Bayer seit 37 Jahren treu verbunden ist.


    Seit 1973 bei der "Werkself"


    1973 kam der einstige Profi, der 222 Bundesliga-Spiele (39 Tore) als Angreifer für den KSC (1963-66), Kaiserslautern (1966-70), Duisburg (1970-72) bestritten hat, zur "Werkself". Als Spieler hatte er maßgeblichen Anteil an der Rückkehr Bayers in die Zweitklassigkeit. Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn wurde Kentschke als Co-Trainer angestellt und stieg mit Leverkusen 1979 endlich in die Bundesliga auf.


    Doch nach nur drei Jahren drohte das Abenteuer Bundesliga vorüber zu sein. Nach 14 Spieltagen wurde Willibert Kremer als Trainer entlassen und Kentschke zum neuen Chef an der Seitenlinie befördert. Doch auch er konnte Bayer nicht die richtige Pille für einen Aufschwung verabreichen. Dank der Neueinführung der Relegation hatte Leverkusen aber noch immer das "letzte Tröpfchen Hoffnung" auf den Klassenerhalt, wie es der 67-Jährige bezeichnet.


    Bayer-Fußball in den Kinderschuhen


    Trotz der zweiten Chance war der Druck immens. Der einstige Trainer, der heute noch für die Traditionself Leverkusens zuständig ist, erinnert sich: "Das Bayer-Werk war in jener Zeit sehr stark daran interessiert, mit dem Fußball Werbung zu betreiben. Damals wurden in Leverkusen nämlich vor allem Leichtathletik und Basketball großgeschrieben. Der Fußball war noch in den Anfangsstufen. Da war es schon wichtig, die Relegation positiv zu bestreiten."


    Dies ist dann auch gelungen. Souverän und konzentriert gewann Bayer das Hinspiel in Offenbach mit 1:0 durch einen Treffer von Dieter Herzog. "Das war natürlich eine gute Ausgangsbasis für das Rückspiel", so Kentschke. "Das Rückspiel fing aber sehr schlecht für uns an. Offenbach ging früh in Führung."


    Rückspiel der Emotionen


    Schon in der dritten Minute hatte Bernd Walz den OFC in Führung gebracht. Der Vorsprung des ersten Spiels war aufgebraucht. Kentschke erinnert sich, dass seine Mannschaft aber anstatt zu verkrampfen plötzlich wie befreit aufspielte. "Das hat die Mannschaft gut gemacht", sagt er. "Gott sei Dank hat uns Peter Szech zum Klassenerhalt geschossen."


    Mit einem "Doppelpack" in seinem letzten Spiel für Bayer sicherte Szech, der ein Jahr später in der Relegation mit Zweitligist Bayer Uerdingen den FC Schalke 04 besiegte, der "Werkself" die Klasse. Anschließend brachen alle Dämme im Ulrich-Haberland Stadion.


    "Das ist schon eine komische Geschichte. Die Situation, warum man überhaupt in der Relegation antreten muss, ist ja keine schöne. Sprich, man hat in der Bundesliga viele Spiele nicht gewonnen", erinnert sich Kentschke. "Und dann gewinnt man diese Qualifikationsspiele und es sieht so aus, als wäre man Deutscher Meister geworden. Wir hatten ein ausverkauftes Stadion. Und die Stimmung war sehr euphorisch nach dem Abpfiff."


    Ein halbes Leben lang treu


    Wenig später war die Euphorie des Augenblicks aber schon wieder verflogen. Es hieß zurück zur Normalität, zur Realität. Dettmar Cramer wurde als neuer Trainer verpflichtet. Kentschke, der gern noch einmal woanders das Zepter geschwungen hätte, aber nie ein Angebot der Konkurrenz erhielt, nahm die Offerte an, wieder als Co-Trainer zu fungieren.


    "Ich war dann auch unter Erich Ribbeck und Rinus Michels bis 1989 Co-Trainer. Zudem war ich 20 Jahre lang für die Amateurmannschaft verantwortlich", sagt Kentschke. "Der Traum, Trainer in einer anderen Profimannschaft zu werden, hat sich nicht erfüllt. Und somit bin ich seit fast 40 Jahren Leverkusen eng verbunden. Das ist beinahe ein halbes Leben."


    Ein halbes Leben, in dem Kentschke viele große Talente geformt und geprägt hat. Ein halbes Leben, in dem er den Gewinn des UEFA-Cups 1988 - den vielleicht größten Triumph der Leverkusener Vereinsgeschichte - als Assistenztrainer miterlebt hat. Ein halbes Leben, das es ohne seine zwei wichtigsten Siege als Cheftrainer so wohl gar nicht gegeben hätte…


    Sebastian Stolz



    Quelle:

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