Unverhoffte Rückkehr eines Geächteten

  • Nowotny wurde in Leverkusen als gieriger Abzocker geschmäht - Nun soll er dem Klub über die Verletzungsmisere helfen


    von Peter Stützer


    Jens Nowotny trägt einen rötlichen Pulli, auf dem "Club 70" geschrieben steht, aber nein, sagt er gleich, das sei weder der Jahrgang noch habe das mit dem gefühlten Alter zu tun. Immerhin: Vier Kreuzbandrisse, da läuft einer auch mit realen 32 Jahren nicht mehr ganz rund, da schleppt er Sorgen mit sich, vielleicht sogar Ängste, auch, wenn er offiziell sagen kann: "Ich bin zu 100 Prozent fit. Band, Muskulatur, alles optimal, keine Einschränkungen." Das hat der Gutachter der Versicherung so unterschrieben, eine neutrale Person also, und dessen Gesamturteil läßt Nowotny erst mal jubeln: "Voll leistungssporttauglich." Das ist die eine Seite. Der gesundheitliche Aspekt seines Comebacks ist der erfreulichste.


    Wenn Jens Nowotny aber am Samstag nach mehr als elf Monaten wieder zum Spiel gegen Eintracht Frankfurt in die BayArena laufen wird, dann sind die gemischten Gefühle schon da. Bei ihm und auf den Tribünen. "Die einen werden pfeifen, die anderen werden applaudieren", das weiß er schon. Den Pfeifern ist sein linkes Kreuzband schnurzegal. Das ist die Fan-Fraktion, die Nowotny Geldgier vorhält, Egoismus und Protzerei. Für sie ist Nowotny so etwas wie eine enttäuschte Liebe. Sie haben mit ihm Schluß gemacht, als er vor Gericht zog, um Bayer Leverkusen zu verklagen, seinen Verein also, der ja auch ihr Verein ist. Er wollte Geld, noch mehr Geld, weil seine Anwälte der Meinung waren, der Verein habe ihm beim vierten Kreuzbandriß wie zuvor Lohnfortzahlung im Krankheitsfall versprochen. Streitwert: 1,75 Millionen Euro.


    Nun muß man wissen, daß die Arbeitslosenquote in Leverkusen bei rund 15,3 Prozent liegt, weshalb sich das Verständnis auch für den zweiten Prozeß in Grenzen hielt. Als Nowotny im Jahr 2002 seinen Vertrag verlängerte, gab es zum fürstlichen Gehalt noch mal 10,2 Millionen Euro obendrauf, so was nennt sich Handgeld, läßt aber manch einen die Faust machen. Als die Anwälte noch auf Versteuerung durch den Verein klagten, war für viele der Gipfel der Dreistigkeit erreicht. Auch für den Verein. Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser setzte Nowotny trotz Vertrages bis 2008 vor die Tür. "Er wird nie wieder für uns spielen. Es ist kein Vertrauensverhältnis mehr da."


    Das ist also die Geschichte hinter diesem Comeback, das doch einigermaßen verwundert, handelt es sich etwa auch um ein Comeback des Vertrauens? Nowotny zuckt kurz mit den Schultern, sagt: "Wie definieren Sie Vertrauen? Und wobei, bitte, hilft Vertrauen?" Sein Vater arbeitet bei Ford, und da rette ihn auch sein Vertrauen in den Arbeitgeber nicht, wenn in Zukunft Stellen gestrichen werden. Nowotny, der Fußballer, braucht Vertrauen in seine Kollegen und in sich selbst. Von beidem hat er reichlich.


    Was den Verein anbelangt, herrscht eine Art Waffenstillstand. Keiner sagt mehr Böses, Hauptsache, Nowotny spielt. Bayer steckt in der Krise, Tabellenplatz zwölf ist eine Katastrophe, aber eigentlich kein Wunder angesichts der Personalpolitik der vergangenen Monate. Verteidiger Roque ist verletzt, so wurde das Comeback des Geschaßten aus der Not geboren. "Die Niederlagen wurden zu meiner Chance", weiß Nowotny. Ohne Krise wäre er draußen, "wäre es hier besser gelaufen, säße ich am Samstag auf der Tribüne."


    Damit kann er leben. Es muß ihn niemand mehr lieben in Leverkusen. Der Nationalspieler will noch zur WM, und so zitiert er den Kollegen Oliver Kahn: "Ein Fußball-Mannschaft ist eine Zweckgemeinschaft. Elf Spieler wollen gewinnen. Alles andere ist egal." Wohlfühlen geht anders, aber er hat keine Wahl. Ein neues Vertragswerk hat die Bedingungen seines Comebacks geregelt, Inhalte wurden bislang nicht verraten, doch zu den Spekulationen zählt, daß Nowotny nach Ende dieser Saison gehen soll. Er sagt bloß: "Manche Spekulationen lassen mich schmunzeln, manche sind ganz treffend." Er schmunzelt nicht. Er ist Realist im 15. Berufsjahr. Er weiß, die leidige Prozeßgeschichte ist nicht zu tilgen. Er gibt zu: "Ich hätte mehr auf andere hören sollen." Ein Advokat, Typ Streitanwalt, habe ihn da reingeritten, der Wechsel zu einem Schlichtungsanwalt kam zu spät. "Jetzt komme ich aus dem Strudel so schnell nicht mehr raus", sagt Nowotny. "Ich werde hier ein Streitfall bleiben."


    Jens Nowotny spricht so nüchtern wie er kickt, seine erste Qualität ist das Stellungsspiel. Nein, er schäme sich nicht. Auch zehn Millionen Euro Handgeld seien nicht unsittlich. "Ich bin kein Abzocker. Woanders hätte ich damals mehr verdienen können. Aber ich wollte bleiben. Also hat der Verein da so geregelt." Oder, anders ausgedrückt: "Jeder ist soviel wert, wie ein anderer bereit ist, für ihn zu bezahlen." Nowotny fährt einen McLaren Mercedes SLR, der ihm 435 000 Euro wert war. Es gibt Experten, die sagen, auch das Auto sei sein Geld nicht wert.


    welt.de

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